Donnerstag, 30. März 2006
24.Februar in Berlin-Mitte...
Da waren wir also, zwei Gestalten aus der Unter-Neben-Welt
der
Kunst in der deutschen Hauptstadt der Kunst, wo jeder sowieso ein
Künstler ist...wußte Beuys ja schon...
Aber wenn jeder Künstler ist, ist doch auch keiner Künstler oder?
fragt sich eine verwirrte Miss Verständnis

Derart tiefsinnige Selbstgespräche zeigen wieder
einmal das Paradoxon der Welt. Wir sind alle völlig unkünstlerisch
- das sage ich, so wahr ich Ichebod Phoenix heiße. Und schon werde ich
wieder unterbrochen ...

Also, wir, Phoenix und Miss Verständnis, auf zu Künstlerkaufrausch
GmbH, da, wo nur die Profis einkaufen dürfen

Naja, erwiesener Profi ist heute, an diesem Freitag nur
... Miss Verständnis, also ich...

Hier muß ich einwerfen, daß niemand das Wort
"erwiesen" übersehen sollte. Auch ich habe mich der einen oder
anderen Leinwand gewidmet, was in mir den Entschluß reifen ließ,
mich ebenfalls unter die Professionellen - Künstler meine ich - zu mischen.
Doch Beamtenmühlen mahlen langsam (während ich eher schnell male),
und so werden nach meinen neuesten Berechnungen ungefähr drei Jahre ins
Land gehen, bis auch ich wichtigtuerisch mit meiner Mitgliedschaft herumwedeln
kann, um eine Kundenkarte bei Künstlerkaufrausch GmbH zu ergattern.

Und so schieben wir unsere Wagen getrennt zur Kasse...
Ich erkläre der Kassiererin, hier ist meine Kundenkarte, ich zahle für
den ersten Wagen, für den zweiten nehmen sie auch meine
Kundenkarte
- zahlen tut dann aber der nette Herr hier...
Die Verkäuferin zuckt mit keiner Wimper

In der Tat unglaublich praktisch, diese Kundenkarten.
Man kann seine ganze Familie und den Freundeskreis zu einem netten Einkaufsbummel
einladen ...

Wenn also ein "Profi" sagt, ich gebe meinen
"guten Namen" und lasse Künstlerkaufrausch GmbH meine Statistik
fälschen (oder was immer besagte Künstlerkaufrausch GmbH mit meinen
Einkaufs-Daten macht)...

Sie erstellen wahrscheinlich ein Profil Deiner bevorzugten
Pigmente, um im Falle eines Terrorangriffs sofort die Quelle zu ermitteln, falls
etwas türkisfarbenes Pigment am Tatort zurückbleibt ...

...dann ist das in Ordnung, auch wenn der vielleicht
kein Profi ist, Umsatz ist Umsatz - aber wehe, wenn nicht irgendjemand irgendwie
beweisen kann, daß er Künstler ist...dann keine Kundenkarte - was
ja aber nicht heißt, daß man nicht einkaufen kann, was zu beweisen
war ;)

Wie beweist man daß man Künstlerprofi ist,
Phoenix?
Künstlerkaufrausch GmbH sagt, mit Steuernummer und Nachweis einer
Künstlersozialkassenmigliedschaft z.B. hmmmmm????

Mindestens. In einigen Fällen sollen auch Schußwaffen
zu einem brauchbaren Ergebnis geführt haben ...

Was aber nur ein sehr kurzfristiger Erfolg ist, denke
ich?
Was hätte Beuys dazu gesagt, wo doch jeder Künstler ist...naja, vielleicht
habe ich das jetzt ein bisschen aus dem Zusammenhang gerissen

Alle Menschen sind künstlerisch, aber manche sind
künstlerischer ... nun gut, ich gebe es unumwunden zu: das ist ein brillanter
Einwurf von mir.

Nach dieser kleinen Weltreise vom Norden Berlins in den
Süden Berlins
und zurück brauchten wir erstmal eine Stärkung, wir steuern einen
Bäcker an...
Hier fiel dann ja Deinen Worten nach dem Konditorbengel fast der Spachtel aus
der Hand ob meiner...Unentschlossenheit

Nun ... ich gebe zu bedenken, daß Du mit einem
lauten, gebieterischen "Halt"seinem Spachtel Einhalt geboten hast,
als er auf die Schwarzwälder Kirschtorte zusteuerte, Dein Blick jedoch
auf Zupfkuchen fiel, welcher unweigerliche Begierden in Dir heraufbeschworen
hat ...

Danach raffen wir uns auf, um eine Vernissage in Berlin
Mitte zu
besuchen - man muss ja wissen, was die "Anderen" so machen, ob die
auch Profis sind...

Eine Frage, die ich von vornherein verneine, um ganz
unvoreingenommen an die Sache heranzugehen ...

Phoenix nimmt die Künstlerkaufrausch GmbH -Tüte
mit, wo draufsteht, daß wir im Profi-Handel einkaufen waren

Ich sage ja immer, ein guter Auftritt ist alles. In meinem
"Handbuch für Angeber" lautet eine der goldenen Regeln, mit geeigneten
Tüten bewaffnet, auf denen großkotzige Logos prangen, eine Party
oder auch Vernissage zu stürmen, um sofort zu zeigen, daß man Ahnung
hat, vom Fach ist und die Alkoholitäten gern kostenlos hätte..

Wir kommen nach guter Berliner Sitte zu spät, das
wäre ja auch zu peinlich, wenn man direkt zur angegebenen Eröffnungszeit
auftauchen würde - mein Gott, wie unangenehm. Diese erste Hürde haben
wir galant hinter uns gelassen

Tja, ist der Wein denn nun umsonst - ja, nein, doch -
dann ein Glas Rotwein bitte - danke.
Wir schauen auf die Wände, die schauen zurück, denn an der Wand hängt
ein Gesicht - natürlich ein Bild von einem Gesicht, an der anderen Wand
hängt auch "Ein Gesicht"
Sie sind überall, immer derselbe - Mann? vermutet ich...

Und dieser verwegene Titel ... ich muß gestehen,
daß wir beide völlig gefangen genommen waren von soviel ... Kreativität.
Hatte ich schon erwähnt, daß mein Rotwein sehr schnell alle war?

Derselbe Mann hat auch fast überall denselben Knick
in der linken
Pupille, und auch denselben Halsansatz, exakt unter dem rechten Ohr gerade Linie
nach unten, linkes Ohr - hmmm, irgendwie etwas schräger Ansatz...
Egal in welcher Göße...nur die Farben und die Schärfe variieren
...Sieht irgendwie nach Besessenheit aus, kommentiert Phoenix

Nun stell Dir das vor ... der Künstler ... besessen
von seinem Opfer ... ich meinte natürlich Modell. Es verfolgt ihn, sitzt
in der Bahn stets neben ihm ... beobachtet ihn beim Apfel knabbern ... der Wahn
bricht sich frei, materialisiert auf Leinwänden und anderen Materialien.
Und das Gesicht ... dämonisch wabert es überall hervor, starrt Dich
an ... Ich bin zu dem Entschluß gekommen, daß der mürrische
Gesichtsausdruck damit zu tun hatte, daß ihm das halbe Kinn sowie Haarschopf
schnöde abgeschnitten wurden. Ich wäre in der Tat sehr ärgerlich
über einen solch barbarischen Akt ...

Nebenan steht etwas Keramik - sehr schön - RAKU-
ich schaue um die
Ecke...oh, Eier
Über der Treppe hängt mal eine andere Ansicht des Herren, das gefällt
mir.

Ja, dieses Gemälde wirkte friedlicher. Unser Opfer
... äh Modell schaute baß erstaunt, was ich darauf zurückführe,
daß die Komposition einer leichten Variation unterlag, die ihm einen vollständigen
Kopf zugestand ...

Aaahh, und überhaupt: im Keller gibt es auch noch
was, nix wie runter..
Kein Fenster, weiße Wände, grauer Boden, heimeliges Bunkergefühl
-
Bilder- weiß auf weiss mit ein bisschen Grau hie und da...Gesicht im Schnee
oder so ;)
Nunja, derselbe Mann, ob die Künstlerin den Menschen danach wohl nicht
mehr sehen konnte?
Ich nippe nachdenklich am Wein... Für einen Augenblick erfaßt mich
der Wunsch, den Rest Rotwein in hohem Bogen an die Wand zu schütten, damit
hier mehr Farbe in den Keller kommt - aber Phoenix kann mich gerade noch davon
abhalten ;)

Das habe ich jedoch nur getan, weil es schade um den
Wein gewesen wäre.

Na gut, oh, unter dem einen Bild erkennt man deutlich
ein sehr schönes
exaktes Schachbrett- Muster, schickes Detail.
Zurück nach oben um vielleicht noch ein Gläschen Wein....da stürzt
sich die hocherfreute Galeristin auf mich, ich habe gerade erfahren, daß
ich sie neulich im Kino gesehen habe....
Ähemm? Fragender Blick meinerseits, ja ich gestehe, ich gehe manchmal ins
Kino...nein, sie meint das anders, Stirnrunzeln, nun ja, es gibt einen
Film über mich, der hieß aber anders und der lief eigentlich nicht
im Kino?

Mit meiner schicken Angebertüte und einem sehr langen
Schal kämpfe ich mich die Kellertreppe hoch, als ich die Worte "Film"
und "Kino" vernahm. Miss Verständnis wurde von einer grauhaarigen
Dame bedrängt ...

Was hat SIE denn HIER her verschlagen? Erfreut greift
die Galeristein
meine Hand, mit leichtem Bedauern zögernd frage ich, sind sie sicher, daß
sie mich nicht verwechseln?
Hilfesuchend blickt die Galeristin zu einer Frau, die nun auch herbeieilt, ja!
Nein, ach - sie sehen ihr aber wirklich soooo ähnlich.
Die Galeristin schreckt entsetzt zurück und verschwindet so plötzlich
wie sie gekommen war und da stehe ich mit der fremden Frau, die auch irgendwie
peinlich berührt ist - wo sie doch die Schauspielerin selbst geschminkt
hat, und diese Ähnlichkeit, die Haare, die Figur, die Augen, also wirklich...aber
nein.

Miss Verständnis versteht es eben, ihrem Namen alle
Ehre zu machen. Mein Blick schweift kurz zur improvisierten Bar ... leer ...
wieder zurück zu den Damen ...

Später taucht die Galeristin auf, stimmt denn wenigstens
die Herkunft? fragt sie recht unvermittelt.
Ähhh, nein ich komme nicht aus Persien, meine Eltern sind auch deutsch
und meine Großeltern auch ...
Die Galersistin verschwindet wieder.

Anstatt sie einfach zugibt, aus Persien zu sein ...

Es entspinnt sich ein längeres Gespräch mit
der Maskenbildnerin, nein, ich bin keine Schauspielerin, sondern "Malerin"
ogott, das ist mir jetzt so rausgerutscht...war das schlau? Darf man diesen
Satz in einer Galerie in MITTE sagen?

Nein, natürlich nicht. Denn es hat uns als jene
schmarotzende Spezies entlarvt, die ständig auf den Vernissagen herumlungern
und kritisch die dort ausgestellte Kunst betrachten ... erwiesene Profis als
auch unerwiesene (ich bin nach wie vor der Meinung, Beamte und Aktenumherschlepper
sollte man regelmäßig ...) ...

Nun ja, klicken sie sich demnächst ein, wenn es wieder heißt...
Kunstflaneure unter sich...

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